Stille Bylle fünfter Morgen des Textlandes bearbeitet!

(Trotz des großen Kummers, der mich bezogen auf das Buch Orca plagt, geht es sehr gut weiter im Text.)Dr. Jan Wilhelmsen stand mit einer Ledermappe unter dem linken Arm bei seinem roten Kombi und ließ den Eingang des Hotels nicht aus den Augen. Als er sah, dass Gesken und Bläss heraus kamen, ging er auf Geskens Auto zu und wartete geduldig am Heck des Wagens auf sie.
„Warum bist Du noch hier?“, fragte sie. Wilhelmsen hielt ihr die Ledermappe hin und sagte: „Ich hab auf Dich gewartet. Ich hab was für Dich, was Dir sehr helfen wird, Sibylle Leuchteblau alias Euterpe Leonberger höchst persönlich kennenzulernen. In dem Etui sind alle Aufnahmen, die Euterpe Leonberger jemals als Jazzpianistin und Flötistin jemals gemacht hat. Ich habe die Sticks nummeriert, sodass Du ihr musikalisches Schaffen vom Anfang bis zum Ende verfolgen kannst.“
„Ich verstehe nichts von Musik!“ Er lächelte. „Du hast gute Ohren, Herz und Verstand, bist aufgeschlossen. Das ist mehr als genug, um etwas von diesen Sachen zu haben!“ Und Wilhelmsen hörte nicht auf zu lächeln.

Dr. Jan Wilhelmsen war ein Musikfan und -kenner. Das wusste jeder, der ihn kannte. Und Gesken fühlte sich geehrt, dass er ihr einen Teil seiner Musiksammlung anvertraute, auch wenn es nur für wenige Stunden war. „Bist Du ein Fan?“ er nickte. „Hast Du jemals mit ihr persönlich gesprochen?“, er nickte abermals. „Sie kam jedes Jahr in unseren Jazzclub. Denn bei uns hatte sie ihre ersten Erfolge. Ihr Auftritt bei uns war immer am dritten Samstag im August. Und ich wusste, dass sie diesmal ihren Auftritt auf den dritten Samstag im September verschoben hatte, weil sie in der nächsten Woche eine Polypenop vornehmen lassen musste. Das ist, wie es häufig vorkommt, die Folge einer Nebenhöhlenentzündung.“

Es war überflüssig Jan Wilhelmsen zu fragen, warum er von alledem im Hotelzimmer nichts gesagt hatte. Es war unnötig gewesen darüber auch nur ein Wort zu verlieren. Und es wäre peinlich gewesen, wie Wilhelmsens Freude an Musik und freundliche Gespräche in einem Jazzclub Wissmanns Phantasie in Gang gesetzt hätte bis daraus wohl ein heißes Liebesverhältnis geworden wäre, das Wilhelmsen angeblich befangen gemacht hätte. „Und ich werde vorsichtshalber die Ergebnisse meiner Untersuchungen von einem Kollegen gegenprüfen lassen!“, sagte Jan Wilhelmsen schließlich und zwinkerte Gesken zu.

Gesken bedankte sich für die Sticks und bat den Pathologen: „Kannst Du bitte auch um vier Uhr hier sein!“ ER nickte, nachdem er kurz auf seine Armbanduhr gesehen hatte. „Bis dahin werde ich wohl schon die wichtigsten Ergebnisse haben! Ich sag dann mal viel erfolg und bis nachher!“ Dann wandte er sich winkend ab, stieg in seinen Kombi und fuhr zum gerichtsmedizinischen Institut. Bläss sah dem Mann, der genauso groß war Gesken und ihre verstorbene Besitzerin wehmütig nach. Gesken beugte sich zu ihr herunter, kraulte sie im Nacken und an den Ohren und sagte beruhigend: „Ach, ja, Du kennst ihn auch. der kommt wieder. Und er hilft uns ganz bestimmt.“
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Stille Bylle – Dritter Morgen Textland urbar gemacht!

(Und wieder so einer von denen, die morgens bearbeitet und erst abends eingestellt werden)Ramona Fuchs war eine kleine Frau, eine graue Maus mit aschblondem Haar, farblosen Augen und blasser Hautfarbe. Gesken hatte den Eindruck als spürte die Frau mehr, dass die Tür zugemacht worden war, als dass sie es gehört hatte. Ramona Fuchs wischte sich die Augen und atmete mehrfach tief ein und aus, um sich zu sammeln, und damit sich die Erleichterung, die sie darüber empfand mit Gesken allein sprechen zu können, in ihr möglichst gut verbreiten konnte. Gesken kam auf sie zu und nahm ihre kleine, weiche Hand im ihre große, raue und hielt sie fest, aber so, dass Ramona Fuchs ihre Hand jeder Zeit ganz einfach hätte wegnehmen können.

„Frau Fuchs, wie Sie gehört haben, bin ich Gesken Paulsen und ermittle im Todesfall Ihrer Freundin. Sie können mir jetzt alles sagen, was Sie wissen, und was Sie mir sagen wollen!“ „Viel sagen will ich nicht, ähm, kann ich nicht. Da bin ich nicht gut drin. Aber ich hab was für Sie, was Ihnen hilft, die Bylle selbst kennenzulernen. Die Bylle zog einmal im Jahr persönliche Bilanz, wie sie das nannte, immer am Tag unserer Einschulung, am 08. August. Und das hat sie mir immer gegeben, auf einem USB-Stick.“ „Die Bylle hatte also die Angewohnheit einmal im Jahr aufzuschreiben was sie erlebt hat?“ „Sie hat jedes Mal erst das bearbeitet, was schon da war und dann, wenn sie es für nötig hielt, was dazu gefügt.“

Gesken war verblüfft. So etwas machte sie auch. Aber sie legte immer am 02. Januar ihre jährliche Rechenschaft ab. Am 02. Januar 1969 war sie zu ihren Adoptiveltern Emma und Hein Paulsen auf den Hof gekommen und hatte am 02 Januar 1984, etwas mehr als eine Woche nach ihrem 18. Geburtstag entschieden diesen Tag als ihren Zweitgeburtstag und Rechenschaftstag zu begehen.

Ramona Fuchs räusperte sich. „Auf dem Stick sind auch Bylles Testament und die anderen Verfügungen und die Liste der Leute, an die Sie sich wenden können!“ Ramona Fuchs machte ihre Hand los und ging zum Nachtschränkchen. Sie zog die oberste Schublade auf, nahm den USB-Stick, den Gesken mit einem kurzen Dank entgegen nahm. „Und vergessen Sie bitte nicht, sich an Bylles Krankenkasse zu wenden und zu klären, was mit der Bläss passieren soll.“ „Aber selbstverständlich doch! Ich werde dafür sorgen, dass die Bläss einen schönen, vorgezogenen Ruhestand erleben darf!“, erwiderte Gesken lächelnd.

Als Gesken aus dem Zimmer getreten war, blieb sie einen Augenblick im Flur stehen, um sich zu sammeln. „Und – ist die Ramona einmal in ihrem Leben wirklich mal wichtig gewesen?“, stichelte der dicke Prinz. Darauf reagierte Gesken nicht. Sie holte tief Luft und sagte: „Dass jeder seine Aussage machen muss, habe ich Ihnen ja schon gesagt. Aber es spricht nichts dagegen, nicht dem Wunsch des Herrn von Hohlberg zu entsprechen, mit dem Sie wohl alle einverstanden sind. Schließlich hat ihm niemand widersprochen. Wir treffen uns um vier im Speisezimmer des Hotels. Und dann lassen wir Sibylle Leuchteblau selbst ausführlich zu Wort kommen. Denn von ihr selbst werden wir wohl am ehesten erfahren, ob ihr Todesfall ein Selbstmord war oder nicht. Und wenn es dann noch was zu reden gibt, reden wir.“

Der dicke Prinz und alle anderen, die in den Türrahmen ihrer Zimmer standen, hatten plötzlich eine Ahnung, dass das, was Gesken gesagt hatte eine Finte sein könnte. Aber sie bekamen den losen, dünnen Faden, der ihr Verdacht war, nicht zu fassen. Das ließ Gesken nicht zu. Sie drehte sich noch einmal zum Flur um und erklärte: „Das wir uns ganz klar verstehen. Jeder kann kommen. Aber niemand muss dabei sein!“

Und dann ging Gesken mit ruhigen Schritten auf Bläss zu. Und dabei geschah etwas, was ihre Kollegen schon häufiger erlebt hatten, was sie nicht verstehen konnten, was so unglaublich war, dass sie es bestaunten wie ein Wunder. Sie hatten miterlebt wie Gesken mit Kindern umging und dabei wie ein Kind gewesen war. Sie hatten miterlebt, wie sie sich mit alten Menschen unterhalten hatte und wie sie dabei genauso alt gewesen zu sein schien wie die alten Leute. Und jetzt ging sie auf Bläss zu, und obwohl sie auf ihren beiden Beinen nach Menschenart aufrecht ging und mit ihrer menschlichen Stimme sprach und doch wie ein Arbeitshund war, der sich einem anderen Arbeitshund widmete.

2Bläss, Bläss, steh auf!“, sagte sie ruhig. Und so langsam wie Bläss aufstand, bewegte Gesken ihre Hand auf sie zu, damit die Hündin sie beschnuppern konnte.

„Komm mit, Bläss!“, sagte Gesken drehte sich um, um mit dem Hund das Zimmer zu verlassen. Und Bläss ging mit. Sie ging zögernd neben Gesken her. Ihre Ohren ließ sie traurig hängen. Aber sie ging mit der neuen, großen Frau aus dem Zimmer, ein Stück den Flur entlang ins Treppenhaus, die Treppe herunter und bis zur Tür der Wohnung der Gastleute, an der Gesken klingelte.
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Stille Bylle – Zweiter Morgen Textland

(Morgens bearbeitet und abens im Blog eingestellt)„Weiß jemand, was mit Blindenführhunden passiert, wenn ihr Besitzer stirbt?“, fragte Gesken. „Die Bläss können Sie gleich mit Ihrer Dienstwaffe abknallen. Die ist schon acht oder neun. Da wird nix mehr draus. Und die ist bestimmt verwöhnt bis über beide Ohren, so vernarrt wie die Bylle in die Köter war!“ Die Stimme des Mannes, die Gesken hinter sich hörte, wäre tief und angenehm gewesen, wenn der Mann nicht so undeutlich gesprochen hätte, die Pausen, die er zwischen den Worten machte, nicht so unnatürlich gesetzt hätte, und wenn er die Lautstärke nicht hätte auf- und abschwellen lassen, sodass es schwer bis unmöglich war, nicht zu beachten, wenn er sprach. Und so spürte Gesken seine Absicht jede Situation zu dominieren und seine Haltung, dass er es überhaupt nicht nötig hatte, ordentlich zu sprechen wie eine kalte Faust im Nacken. Wer etwas von ihm wissen wollte, musste sich gefälligst bemühen ihn zu verstehen. Gesken wandte sich um und ging auf ihn zu.

Der Mann war Anfang 50, sehr korpulent, ungefähr so groß wie Wissmann und trug einen teuren Jogginganzug. Als Gesken ihm gegenüber stand aber keine Anstalten machte, ihm die Hand zu geben, wich er einen Schritt zurück. Doch er redete einfach weiter: „Wenn man mich fragt, aber mich fragt ja wieder mal keiner, hat die Bylle Selbstmord begangen. – In mehr als 50 Jahren nie einen Kerl, der sie ordentlich durchzieht, nirgendwo richtig dazu gehören, zwar jede Menge Bildung und Geld aber immer einsam und eben immer noch das erbärmliche Landei wie eh und je. Da kann man schon auf Selbstmordgedanken kommen. Und die Weiber steigern sich in alles immer so ‚rein!“
„Moin, Gesken Paulsen! Und wer sind Sie?“ „Ich bin Bertram Ferdinand Prinz von Hohlberg, seit 11 Jahren der Leiter der Kanzlei von Hohlberg & Söhne. Ich berate und vertrete Firmen in allen wirtschaftlichen Belangen und im Arbeitsrecht!“ Das sagte er sehr deutlich, machte dann eine Pause und nuschelte schließlich: „Den Stallgeruch von so’nem Bauernhof kriegt man aus den Leuten eben nicht ‚raus!“ „Warum sollte man auch? Wenn wir auf Höfen ermittelt haben, war es oft nützlich, dass ich mich mit den Arbeitsabläufen gut auskannte!“ „Ist jetzt auch egal!“ knurrte er. „Die Sache mit der Bylle können Sie schnell und günstig für den Steuerzahler abschließen. Wir setzen uns alle zwei oder zweieinhalb Stündchen zusammen, und wir erzählen Ihnen, was bei der Bylle Sache war und dann werden Sie schon begreifen, dass es nur ein Selbstmord sein kann. Wir wissen Bescheid. Wir waren zusammen im Internat. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft!“

Es waren die Worte Schicksalsgemeinschaft und Bescheid wissen, die in Geskens Kopf eine leise aber deutlich hörbare Glocke anschlugen. Nicht nur, dass Gesken keine Lust auf Gerede über alte Zeiten und Interpretationen der aktuellen Lebenssituation von Sibylle Leuchteblau hatte. Was dabei bestenfalls herauskommen konnte, war eine wortreiche Allgemeinmeinung über die Verstorbene. Sie könnten die Leute wohl gegeneinander ausspielen, sich durch das Gerede zum Kern des Todesfalles durchwühlen. Aber was konnte bei all der Wichtigtuerei von Sibylle Leuchteblau und ihrer Geschichte übrig bleiben? Und dann nahm ein Plan in Gesken Gestalt an. Sie wollte möglichst viel von Sibylle Leuchteblau selbst wissen. Diese Idee war nicht uneigennützig. Aber Gesken schämte sich überhaupt nicht dafür.

Gesken ging in das Zimmer zurück, in dem Sibylle Leuchteblau lag und verteilte die Arbeit auf die Kollegen. „Sagt mir sofort Bescheid, wenn ein Tagebuch, persönliche Briefe oder sogar ein Abschiedsbrief gefunden wird!“, sagte sie schließlich und wandte sich dann an Dr. Jan Wilhelmsen und sagte: „ich hab da noch ‚ne Kleinigkeit zu tun, dann kümmere ich mich um den Hund. Und wenn ich sie weggebracht habe, könnt ihr die Leiche wegbringen! Müsste nicht auch der Wellmann hier sein?“ Der große alte Mann mit dem vollen weißen Haar und den stahlblauen Augen nickte nur kurz.

Als Gesken aus dem Hotelzimmer trat, wurde sie fast von Wellmann über den Haufen gerannt. Der Fotograf wirkte mit der großen Fototasche, die er bei sich hatte, wie eine kleine Kugel, die von dem Gewicht der Utensilien, die sie mit sich führte, angetrieben wurde.

Gesken ließ den Poliezeifotografen an sich vorbei gehen und trat auf den Flur. „Meine Herrschaften, ich muss Sie bitten sich nicht aus Herrmannssiel zu entfernen, bis der Kollege Winkler sie einzeln einvernommen haben wird. Um es für Sie so bequem wie möglich zu machen, werden Sie im Verlauf des Vormittags im Büro des Hotels Ihre Aussagen machen können. Aber Sie können uns jetzt schon helfen. Wissen Sie, ob es von Frau Leuchteblau persönliche Aufzeichnungen gibt, und wo wir sie finden können, oder wer uns Auskunft darüber geben kann, ob es zum Beispiel ein Tagebuch gibt?“ Beredtes Schweigen war die Antwort. Und aus der Stille wuchs trotziger Widerwille, der von allen Seiten auf Gesken zukam.

Aber dann war eine leise Stimme zu hören. „F-F-FRau P-P-PAulsen! I-ich b-bin r-Ramona F-Fuchs. I-i-ich k-k-kann I-Ihnen helfen!“ Auch die Zimmertür von Frau Fuchs stand offen. Aber die kleine Frau hatte sich tief in den hinteren Teil des Raumes zurückgezogen. Gesken betrat das Zimmer und machte die Tür schnell hinter sich zu. Dabei achtete sie darauf, dass es ein sehr deutliches Geräusch war. Damit wurden ihre Kollegen und die Klassenkameraden von Frau Fuchs von dem ausgeschlossen, was Frau Fuchs Gesken zu sagen hatte.

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